„I Cast my Gaze“ –
Lotte Schreibers Filmräume
Der Blick, die Montage, der Frame, der Film, Räume, Installationen. In ihren Arbeiten behandelt Lotte Schreiber die historische und gesellschaftspolitische Bedeutung von Architektur, urbanem Raum und Landschaft genauso wie Texte. Konkrete Orte werden kinematografisch vermessen, es entstehen neue poetische Abhandlungen. Es wird ineinander montiert, collagiert. Die Montagetechnik des Films wird in das Verfahren der Collage überführt: Beziehungen zwischen Realität und Fiktion, Geschichte und Gegenwart, Körper und Architektur, politischem Raum und Privatsphäre werden so verhandelt.
LANGTEXT
Lotte Schreibers Hauptinteresse liegt in der Untersuchung konkreter Orte, die sie mit ihren kinematografischen Vermessungen spürbar werden lässt. Präzise konstruierte Kameraeinstellungen sind ihr Markenzeichen.
Immer wieder werden inszenierte Figuren eingeschrieben, oder auch Zitate. Texte, Textteile, Sprache ist ebenso Teil ihrer Bilderwelten. In diesem Wechselspiel aktiviert sie das vielschichtige historische Gedächtnis des Raums. Innerhalb der Ausstellung wird die Montagetechnik des Films angewendet, die in das Verfahren der Collage überführt wird. Beziehungen zwischen Realität und Fiktion, Geschichte und Gegenwart, Körper und Architektur, politischen Raum und Privatsphäre werden so verhandelt. In Lotte Schreibers Arbeiten spielen immer wieder das Wort und die Erzählung als konstituierendes Element oder auch Figuren als bild- oder prozessgestalterische Elemente vs. schauspielernde AkteurInnen im klassischen Sinn eine Rolle. Diese Elemente werden innerhalb der Ausstellung in den Vordergrund gerückt.
Die breitangelegte Werkschau der Filmemacherin und bildenden Künstlerin findet in einer Zwischennutzung im Stadtteil Reininghaus statt, im Erdgeschoss des zentral am Reininghaus Park gelegenen Mirror, ermöglicht durch die Kooperation mit dem Verein Stadtteil Graz Reininghaus. Der Stadtteil Reininghaus ist eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Österreichs, inmitten einer Gemengelage zwischen historischem Bestand und attraktivem Neubau.
Herzstück der Ausstellung ist ein extra dafür installiertes Kino. Ältere und jüngere Filme werden in ihrer vollen Länge gezeigt. Donnerstags ist Kinotag, jeweils um 19 Uhr startet ein Langfilm um die Möglichkeit zu haben zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.
Unter der Kategorie filmische Kartographie, italienischer Faschismus und Wienfilm, wo Wien mit all seiner Geschichte, aber auch mit viel Fiktion gearbeitet wird, lässt sich ein weiterer Schwerpunkt festmachen. Die Wienfilme GHL und Manchmal also denkt man, weil es sich bewährt hat. Wittgensteins Haus sind ebenso im Kinoprogramm zu finden.
Bereits in den 2000er Jahre beschäftigen sich Lotte Schreibers Filme intensiv mit Architekturen und dem Gedächtnis dieser Orte, den manchmal vielleicht gar nicht so sichtbaren Geschichten von Orten und Geschehnissen. Sie gehen auf die jeweiligen (Stadt-)Räume und ihre Vergangenheit ein.
So ist in Schreibers Schaffen auch die Konzentration auf den italienischen Faschismus zu finden. Diese Beschäftigung führte beispielsweise zur Installation BEHIND BORGATE. BORGATE: Das von der Stadtplanung am Reißbrett entworfene Wohnviertel Don Bosco transferiert Schreiber konsequenterweise in streng kadrierte Bilder und seriell montierte Sequenzen. Im Wechselspiel dieser meist statischen Einstellungen oder ruhigen Schwenks über Fassaden und bauliche und Details mit filmischen Zitaten von Pasolini und Fellini bis Antonioni produziert Borgate ein visuelles und akustisches Panoptikum über das Scheitern urbanen Utopien.
Ein besonderes Highlight zur Eröffnung ist die Uraufführung des Kurzfilms DREAMHOME HEADACHE, der ebenso als Teil des Kinoprogramms präsentiert wird. Ein Werbeshooting für Luxusapartments einer Immobilienfirma bildet das zentrale Motiv dieser Satire, die sowohl in Wien als auch in Graz gedreht wurde. Lotte Schreiber zitiert hier Pierre Bourdieu „Bei der Herrschaft über den Raum handelt es sich zweifellos um eine der privilegiertesten Formen der Machtausübung.“, wenn sie darauf hinweist, dass In unserer auf grenzenlosem Wachstum orientierten Gesellschaft eines der unverzichtbaren Grundbedürfnisse der Menschen – das Wohnen – mehr und mehr zum Gegenstand von Profitmaximierung wurde.
Eine mediale Installation – ein erweiterter Filmraum – ist auch zugehörig zu diesem Film innerhalb der Ausstellung erlebbar. Auf zwei Monitoren sind die beiden Hauptprotagonist:innen des Filmes als Exzerpte sichtbar. Wie immer und überall bei Lotte Schreibers Arbeiten wird montiert und collagiert. Filmisch und im Raum. Ebenso aus diesem Werkkomplex findet sich eine bedruckte Plane auf Schaltafeln aus der Serie DIE SPEKULATION.
Schreibers frühe Arbeiten, die filmischen Kartografien Domino, Quadro und IE werden ebenso im 8-Wochen-Kino gezeigt. Einige dieser Filme wurden bereits bei der einen oder anderen Diagonale gezeigt. So ist es auch nur folgerichtig für einen Abend im Sommer die Diagonale-Intendantin Claudia Slanar zu einem Screening und gemeinsamen Filmgespräch einzuladen. Dies wird bei der Finissage am Samstag, 31. August 2024, ab 15 Uhr sein.
Die zentrale Filmprojektion der Arbeit If I had land under my feet verbildlicht in sehr eindringlicher Weise, statistische Zahlenwerte, die für sich stehend keinerlei Emotionen vermitteln, wenn es um die Angabe von Fluchtopfern geht. Die partizipative Filmperformance aus 2016 ist der Versuch den Zahlen einen Körper, ein Gesicht zu geben – durch die gezielte Anwesenheit einiger Hundert Personen im öffentlichen Raum.
Innerhalb der neuen filmischen Performance, die extra für diesen Ort geschaffen wurde WE GATHER. Oder auf der Suche nach der Agora startet der Versuch eine demokratische Aufstellung und Zentrumsbildung in Reininghaus zu machen. Am Samstag, 6. Juli finden sich möglichst viele Personen, die mitmachen wollen am Platz vor der Ausstellung ein. Dort startet um 15Uhr die gemeinsame Performance. Sie dauert ca 2-3 Stunden und dient dazu, dass sich die Personen die hier leben und arbeiten auch etwas besser kennen lernen.
Reflexionen über das Filmemachen sind ebenso gewichtiger Part innerhalb der Ausstellung. So zeigt die Arbeit FRAME einen Schriftzug, der gleichzeitig einen selektiven Durchblick ermöglicht und dabei anspricht worum es geht: um den Bildausschnitt, die Einzelbilder, die schlussendlich ein großes Ganzes ergeben.
Collagen-Arbeiten zu ihren Filmen Manchmal also denkt man, weil es sich bewährt hat. Wittgensteins Haus. und SOME MEMORIES werden ebenso in die Ausstellung finden wie Arbeiten mit dem Titel Protagonists, und ja: es geht um Film-Charaktere.
nicole pruckermayr
Donnerstags ist Kinotag.
Jeweils um 19 Uhr startet ein Filmprogramm in Kinolänge.
Künstlerin: Lotte Schreiber
Kuratorin: Nicole Pruckermayr
SPECIALS
ERÖFFNUNG: Freitag, 5. Juli 2024, 18 Uhr
Samstag, 6. Juli 2024, zwischen 18 und 21 Uhr
Filmaufstellung – Filmperformance
We gather! oder „Auf der Suche nach der Agora“
Wir alle zusammen bilden eine demokratische Versammlung. Wer mitmachen mag, möge sich melden!
Treffpunkt: Reininghauspark, beim Eingang zur Ausstellung
Donnerstag, 25. Juli 2024, 19 Uhr
Künstlerin und Kuratorin führen durch die Ausstellung
Mittwoch, 28. August 2024, 19 Uhr
FILMGESPRÄCH mit Diagonale-Intendantin Claudia Slanar und Lotte Schreiber
Samstag, 31. August 2024, ab 15 Uhr
Finissage
FILMGESPRÄCH mit Lotte Schreiber und Nicole Pruckermayr
Eröffnung: Freitag, 5. Juli 2024 um 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 6.7. – 31.8.2024
KINOPROGRAMM am Donnerstag
17:00 • DREAMHOME HEADACHE (2024, 9 min)
17:10 • QUADRO (2002, 10 min)
17:20 • I.E. [site01 – isole eolie] (2004, 8 min)
17:28 • DOMINO (2005, 12 min)
17:40 • GHL (2012, 17 min)
17:58 • Manchmal also denkt man, weil es sich bewährt hat. Wittgensteins Haus
(2016, 20 min)
18:18 • SABAUDIA (2018, 24 min)
18:42 • SOME MEMORIES (AT 2024, 9 min)
18:51 • TLATELOLO (2011, 75 min)
20:06 • ENDE bzw Re-Start
Öffnungszeiten:
11.7., 25.7., 8.8., 15.8., 22.8., „late open day“ Donnerstag, jeweils 17–21 Uhr
Ort: Mirror im EG, UNESCO-Esplanade 12/Reininghauspark 2a, 8020 Graz
Eine Ausstellung der Steirischen Kulturinitiativen in Kooperation mit dem Verein Stadtteil Graz Reininghaus
Künstlerin: Lotte Schreiber
studierte Architektur an der TU Graz, an der Univ. of Edinburgh und an der Univ. Federico II in Neapel und lebt und arbeitet in Wien.
Einige Auszeichnungen der vergangenen Jahre:
2019 con-tempus Award des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst 2019 / Award for Best Short Film, Sabaudia June Filmfestival, IT2017 Staatsstipendium für Video- und Medienkunst
2015 Großer Diagonale-Preis für Innovatives Kino, A (mit Sasha Pirker)
2013 Award for Best Short Film, Edinburgh International Filmfestival, UK /
Lobende Erwähung, Österreichischer Wettbewerb, Vienna Independent Shorts, A
2012 Lobende Erwähung am IFFI – Internat. Filmfestival Innsbruck, A
2011 „Outstanding Artist Award“ Avantgardefilm, Bundesminist. f. Unterricht, Kunst u. Kultur
2009 Winner of THE SECTION ARCHITECTURE, Milano Doc Festival, IT
2005 Nominierung für Int. Medienkunstpreis, ZKM, Karlsruhe, D
2004 International Competition Cinematography Award, Cinematexas, Austin, Texas, USA
2003 Best Experimental Film, New York Underground Film Festival, USA /
Nominierung für den Int. Medienkunstpreis, ZKM, Karlsruhe, D
Kuratorin: Nicole Pruckermayr
Ausstellungsteam:
Audio-Visuelle Technik: MIT LODL ODER CO
Aufbauteam: Philipp Schütz, Florian Keck, CirculART (Max Gansberger)
Grafik: Monique Fessl
Fotos: Nikolaos Zachariadis
Instagram: Raphael Daum
Gefördert durch Land Steiermark Kultur und Stadt Graz Kultur
Sowie Dank an: MIT LOIDL ODER CO, Verein Stadtteil Graz Reininghaus, ÖSW, Stadtteilmanagement Reininghaus, Bank Austria, PORR, Camera Austriag, Wohnbaugruppe, ÖWG wohnbau
und